24.02.2022

Beratung auf Augenhöhe

Trotz oder wegen Corona: EUTB-Beratung ist gefragt

Seit nunmehr knapp dreieinhalb Jahren berät das Team der EUTB (ergänzende unabhängige Teilhabeberatung) Menschen mit Behinderung und deren Angehörige bei allen Fragen rund um Teilhabe und Inklusion. Weit mehr als tausend Beratungen haben seitdem stattgefunden - eine gute Gelegenheit, beim EUTB-Team der Lebenshilfe nachzufragen, wie sich die Beratungen insbesondere in der Corona-Zeit entwickelt haben. Das EUTB-Team der Lebenshilfe bilden Claudia Meyer (Leitung), Susanne Kirschbaum, Lisa Oermann sowie die ehrenamtlichen Peer-Beraterinnen Judith Witte und Mirjam Benkowitz.

EUTB-Beratung-1

Das Beratungstandem Mirjam Benkowitz (links) und Claudia Meyer (© Lebenshilfe Osnabrück / Oliver Pracht).

Frage: Mehr als 1.000 Beratungen ist eine imposante Zahl. Was bedeutet sie für Euch?

Claudia Meyer: Natürlich freut es uns, dass wir trotz aller Widerstände durch Corona und personelle Engpässe so viele Menschen beraten konnten. Aber die Zahl als solche hat keine große Bedeutung – viel wichtiger ist für uns die Qualität unserer Beratung.

Frage: Was wird denn bei Euch als Beratung gezählt?

Claudia Meyer: Als Beratung werden nur Gespräche dokumentiert, die sich inhaltlich mit den Themen, zu denen wir beraten, beschäftigen. Also beispielsweise Wohnen, Arbeit oder Familiensituation. Kurzinfos zu Anlaufstellen oder Terminvereinbarungen zählen nicht als Beratung.

Frage: Lässt sich sagen, wie viele Menschen seit der Eröffnung 2018 in der EUTB beraten wurden?

Susanne Kirschbaum: Auf diese Frage gibt es keine ganz eindeutige Antwort, denn viele Menschen haben sich mehrfach bei uns beraten lassen – manche mehrfach zum gleichen Thema, viele zu unterschiedlichen Themen. Außerdem beraten wir oft mehrere Personen, zum Beispiel ganze Familien. Häufig begleiten auch Vertrauenspersonen oder Assistenzpersonen zu den Beratungen. Es lässt sich also nicht ganz einfach auszählen, wie viele Menschen wir zu welchen Themen beraten. Das ist sehr vielfältig.

Frage: Heißt das, Ihr habt einige Menschen über einen längeren Zeitraum beraten?

Claudia Meyer: Ja, wir beraten viele Menschen mehrmals. Oft werden in den ersten Gesprächen viele verschiedene „Projekte“ identifiziert. Die Ratsuchenden brauchen dann erst einmal Zeit, um sich darüber klar zu werden, welches Thema sie als erstes für sich klären möchten. Damit ihnen das leichter fällt, bekommen sie auf Wunsch Notizen aus dem Beratungsgespräch mit nach Hause. Außerdem schicken wir ihnen im Nachgang auf Wunsch eine Mail oder einen Brief, in der wir noch einmal alles Wichtige sowie weiterführende Links zu den behandelten Themen zusammenfassen. So können sie sich selber oder mit Unterstützung von Vertrauenspersonen mit den Themen auseinandersetzen. Bei den Familienberatungen ergeben sich in der Folge auch manchmal weitere getrennte Termine. Darin beraten wir gezielt einerseits den beeinträchtigten Menschen, andererseits seine Angehörigen.

EUTB-Beratung-2

EUTB-Peer-Beraterin Susanne Kirschbaum (© Lebenshilfe Osnabrück / Oliver Pracht).

Frage: Wie läuft so ein Beratungsprozess ab?

Lisa Oermann: Einige Ratsuchende arbeiten nacheinander die Themen ab, die wir gemeinsam identifiziert haben. Sie melden sich wieder, wenn sie einen Punkt geklärt haben. Wir begleiten sie aber nicht physisch bei den einzelnen Schritten. Ein Beispiel: Wir gehen mit einer Ratsuchenden nicht zum Integrationsfachdienst, aber wir bereiten das entsprechende Gespräch gezielt mit ihr vor, zum Beispiel in einem Rollenspiel. So geht die Person gestärkt dorthin, um ihre Anliegen vorzutragen – eventuell auch gemeinsam mit einer Vertrauensperson. Und wir unterstützen die Menschen bei „Rückschlägen“, beispielsweise der Ablehnung eines Antrags. Dann stärken wir die Betroffenen, überlegen gemeinsam, welche Alternativen es gibt oder zeigen Widerspruchsmöglichkeiten auf. Wir bieten keine rechtliche Beratung an, geben aber entsprechende Informationen weiter und verweisen auf Netzwerk- und Kooperationspartner*innen, die Experten*innen auf dem gesuchten Gebiet sind.

Frage: Wie wichtig ist dabei Eure Haltung gegenüber den Ratsuchenden?

Claudia Meyer: Beratung ist für uns tatsächlich ganz wesentlich eine Frage der Haltung! Wir sind nur der ratsuchenden Person verpflichtet und versuchen uns in die Situation der Person hineinzuversetzen, um eine Idee von ihrer Lebenslage zu bekommen. Ratsuchende Personen sind in Beratungen nicht verpflichtet, Unterlagen oder andere persönliche Angelegenheiten offen zu legen. Wir hören den ratsuchenden Personen zu. Wir zeigen auf, welche Ansprüche Ratsuchende haben und wie diese geltend gemacht werden können. Dazu gehört es auch, das System der Behindertenhilfe zu erklären und die unterschiedlichen Leistungen der Anbieter*innen zu erklären, etwa zu den Themen Wohnen und Arbeit.

Die Basis für unsere Beratungshaltung ist immer eine Kommunikation auf Augenhöhe. Orientiert an den Ratsuchenden setzen wir geeignetes Material ein, zum Beispiel Visualisierungen und leichte Sprache. Susanne Kirschbaum ist zudem gebärdenkompetent. Wir streben immer eine Beratung an, die verständlich und passgenau ist.

Frage: Wie hat Corona Eure Arbeit beeinflusst?

Claudia Meyer: Gerade in der Corona-Anfangsphase hatte Susanne Kirschbaum Gespräche, in der es um die Maskenpflicht bei Menschen mit Hörschädigung ging. Deren Gesprächspartner*innen dürfen die Maske abnehmen, um kommunizieren können. Diesen Absatz der Verordnung kannten viele Betroffene nicht, sie waren von der Situation überfordert. Inzwischen spielt die Langzeitbelastung der Familien eine immer größere Rolle in den Gesprächen. Zudem haben wir viel Informationsmaterial in Leichter Sprache zu Corona-Schutzmaßnahmen ausgehändigt und die entsprechenden Maßnahmen erläutert. Wir waren aber auch Ansprechpartnerinnen für Bewohner*innen und ihre Angehörige der besonderen Wohnformen (früher: Wohnheime).

Durch Corona ist außerdem die Tandem-Beratung mit unserer ehrenamtlichen Peer-Beraterin Mirjam Benkowitz ausgebremst worden. Ebenso wie Susanne Kirschbaum kann sie in Beratungsgesprächen nochmal eine andere Perspektive einbringen und sich gut in viele Herausforderungen hineinversetzen, die eine Einschränkung mit sich bringt.

Ein weiterer Aspekt ist die veränderte Beratungssituation in der Pandemie. Wir haben durch Corona ganz unterschiedliche Beratungsszenarien entwickelt.

EUTB-Beratung-3

EUTB-Beraterin Lisa Oermann (© Lebenshilfe Osnabrück / Oliver Pracht).

Frage: Was heißt das?

Susanne Kirschbaum: Wir führen Beratungen per Videokonferenz oder als Chat durch. Im Sommer haben wir auch viele Menschen draußen beraten - auf der Terrasse, bei einem Spaziergang oder in ihrem eigenen Garten zu Hause. Außerdem bieten wir in unseren Räumen am Borkumweg persönliche Beratungen unter strengen Hygieneregeln an.

Frage: Wie fließen die Erfahrungen aus den vielen Beratungen in Eure Arbeit ein?

Claudia Meyer: Wir tauschen uns in regelmäßigen Teamgesprächen aus, suchen auch gemeinsam nach Ideen und Lösungsalternativen. Wenn wir neue Informationen oder Anlaufstellen entdecken, teilen wir sie selbstverständlich. Auch was unterschiedliche Lösungsansätze betrifft, tauschen wir uns aus. Im Laufe der Zeit und mit immer mehr Beratungsgesprächen wachsen unser Wissen und auch unsere Netzwerke stetig weiter. Netzwerkarbeit ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit.

Frage: Haben sich auch neue Arbeitsansätze daraus ergeben?

Lisa Oermann: Durchaus! Manchmal ist es hilfreich, Beratung nicht im klassischen „Beratungssetting“ stattfinden zu lassen, sondern sofort den stärkenden Effekt einer Gruppe zu nutzen. Wir begleiten eine Elterngruppe bei der Entwicklung von Wohnperspektiven für ihre beeinträchtigten Kinder. Außerdem erarbeitet eine kleine Gruppe von drei Familien gemeinsam mit ihren beeinträchtigten Kindern Lebensbücher.

Vergrößern von Text und Bildern


Sie können die Darstellung der Webseite durch Ihre Tastatur vergößern oder verkleinern.

Zum Vergößern der Webseite halten Sie bitte die Taste „STRG“ gedrückt und betätigen Sie die „+“ Taste schrittweise.

Zum Verkleinern der Webseite halten Sie bitte die Taste „STRG“ gedrückt und betätigen Sie die „-“ Taste schrittweise.

Zur Originalgröße zurück? Halten Sie bitte die Taste „STRG“ gedrückt und betätigen Sie die „0“ Taste einmalig.

Bitte beachten Sie, dass die Darstellung je nach verwendeten Browser unterschiedlich sein kann.