17.11.2020

Vom Klischee bis zur Unsichtbarkeit

Wie über Menschen mit Behinderungen berichtet wird

Eine aktuelle Analyse bestätigt (leider) sehr deutlich, was wir Betroffenen längst wissen: Menschen mit Behinderung sind in den Medien kaum sichtbar - sozusagen "unerhört" - und werden in der Berichterstattung vernachlässigt. Das ist bitter und traurig - und wirft zugleich viele Fragen auf: Woran liegt das? Und was können wir tun, damit sich das ändert?

Ein Essay von Marco Hörmeyer

Kürzlich bin ich im Newsletter des Inklusionsaktivisten Raul Krauthausen über den Link zu einer interessanten Analyse gestolpert: Im "Bericht zur Lage der Informations-Qualität in Deutschland" wurde untersucht, wie häufig, mit welchen Schwerpunkten und mit welchem Tenor über Menschen mit Behinderungen in den Medien berichtet wird. Das Ergebnis der Untersuchung ist ernüchternd - und übertrifft sogar noch meine schlimmsten Befürchtungen:

1. Die Berichterstattung liegt weit unter der Wahrnehmungsschwelle.

2. Die Berichterstattung ist eindimensional und undifferenziert.

3. Die Berichterstattung ist voller Sterotypen und Klischees.

Das Fazit der Studie fällt daher auch vernichtend aus: "Die Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen ist in Art und Umfang kaum als ausreichend zu bezeichnen, um den Status von gesellschaftlicher Inklusion nachverfolgen zu können. Die gesellschaftliche Relevanz des Themas bleibt weitgehend verborgen."

Ruuums - das sitzt. Und nun? Klar könnten wir es uns jetzt einfach machen, mit dem Finger auf die Medien zeigen und die gesamte Branche anklagen: "Ihr werdet Eurer Aufgabe und Eurer Rolle nicht gerecht - ändert das und berichtet vernünftig!" Aber: Ändern wird sich so schnell nichts. Denn letztlich sind Verlage und Medienhäuser Wirtschaftsunternehmen, die knallhart auf ihre Zahlen gucken müssen - und die heutige Währung sind nun mal Klickzahlen.

Was auf den Internetseiten der Medienhäuser angeklickt wird, bringt Geld. Je mehr Artikel geklickt werden, desto lukrativer - und umso mehr solcher Artikel erscheinen. Gewissermaßen ein Teufelskreis. Denn damit wir mehr klicken, werden die Überschriften reißerischer, die Geschichten oberflächlicher und überall gibt es Dramen, Sensationen und Skandale (die Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige nun mal nicht liefern). "Clickbaiting" ist das Zauberwort - und wir befeuern das sogar noch durch unser Mediennutzungsverhalten...

Was bedeutet das für uns? Wir alle sind ein bisschen selbst schuld und müssen daher mit dem Finger auch auf uns zeigen. Aber selbst wenn wir Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige solche Artikel nicht anklicken - andere tun es. Und so können wir den Trend hin zu mehr und mehr "BILD-Boulevardjournalismus" (leider!!!) nicht aufhalten.

Was können wir tun? Aktiv gegensteuern! Wenn die Medien nicht über uns berichten, dann berichten wir selbst über uns und erzählen, was uns bewegt und beschäftigt. Es gibt dank Social Media viele neue Möglichkeiten, aktiv und authentisch zu kommunizieren - sei es über einen eigenen Blog, auf Facebook, Instagram oder Twitter. Die Kommunikation wird vernetzter, andere lesen über uns - und bleiben dabei, werden neugierig und lesen weiter. Und manchmal, immer öfter, stößt dann ein Journalist auf den Blog oder die Facebookseite - und berichtet vielleicht darüber.

Ganz nebenbei tragen wir dazu bei, Sterotypen über Menschen mit Behinderungen aufzulösen. Das Portal leidmedien.de zeigt sehr anschaulich und entlarvend, wie klischeehaft in den Medien berichtet wird. Oft ist von "Tapferkeit, Leid und Heldentum" die Rede. Oder vom Rollifahrer, der "an seinen Rollstuhl gefesselt" ist (Bitte schnell losbinden!) - authentisch ist anders...

Mein Fazit: Wir können nicht darauf hoffen und warten, dass die Medien häufiger, differenzierter und tiefgehender über Menschen mit Behinderungen berichten. Wir können aber selber aktiv einen Teil zu mehr öffentlicher Wahrnehmung beitragen. Natürlich ist nicht jeder von uns ein "Kommunikationsprofi"; es gehört schon Mut dazu, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen.

Wir als Lebenshilfe Osnabrück unterstützen dabei! Diese Rubrik "Unsere Erfahrungen" ist genau dafür gedacht, über uns zu erzählen und den Dialog, den Austausch und die Vernetzung voranzutreiben. Wir freuen uns darauf - damit Inklusion gelingt!

Weitere Links zum Thema "Behinderung und Medien"

Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Behinderung und Medien – ein Perspektivwechsel (vom 26.02.2016):

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Digitale Gesellschaft im Blickpunkt - ein Angebot des Grimme-Instituts: Das Bild von Menschen mit Behinderungen in den Medien (vom 09.04.2018):

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